gastbeitrag: PIA PAROLIN – nürnberg und nizza

Im Rahmen der Vernissage zu ihrer Ausstellung „Zwischen Himmel und Meer“ Promenaden in Nizza durften wir Pia Parolin treffen. Ein, wenn auch kurzer, dennoch sehr, sehr netter Abend! Wir plauderten über streetfotografie und schmiedeten Pläne für die Zukunft… Und dann hat Pia sich freundlicherweise bereit erklärt, uns alle auf ihre Tour durch Nürnberg mitzunehmen – und es ist doch immer wieder schön, zu hören, wie positiv Auswärtige unsere Stadt wahrnehmen! (und wie viele Nürnberger kennen Nizza…?)
Liebe Pia, vielen Dank und der blog gehört dir…!

©Pia Parolin

Nürnberg und Nizza sind seit 65 Jahren Partnerstädte. Nicht dass die Mehrheit der Bürger Nizzas das wüsste. Jene mit denen ich über meine bevorstehende Reise sprach, waren eher erstaunt: „Echt? Nürnberg? Das ist doch die Stadt wo Hitler…“ und darauf beschränkte sich auch schon das Wissen. Nicht viele hinterfragen wirklich und wissen, dass Nürnberg so engagiert ist in der Vergangenheitsbewältigung, dass die Stadt mit über 500.000 Einwohnern ebenso groß ist wie der Großraum Nizza – genannt Métropole Nice Côte d’Azur. Wissen viele, dass Nürnberg bekannt ist für Kulinarisches, Kulturelles, die schöne wiederaufgebaute Altstadt, wichtige ehemalige Bürger wie Albrecht Dürer und Maria Sibylla Merian, und vieles mehr?

©Pia Parolin

Es wird schnell klar, wenn man sich in der Stadt aufhält: sie ist bunt, offen, fröhlich, kommunikativ und durchweg positiv. So wie das Leben in Nizza, mit seiner ebenfalls malerischen Altstadt, die gleichsam von Touristen aus aller Welt geflutet wird, und der Promenade des Anglais die sich am blauen Mittelmeer entlangzieht, voller Leben und Farben auch nach dem verheerenden Attentat vor 3 Jahren. Ich lebe seit 15 Jahren an der Côte d´Azur und werde der Farben nicht müde. Wer meine Fotos kennt, weiß was ich meine (www.piaparolin.com).

Als ich 2018 vom französischen Kulturinstitut und dann vom Internationalen Haus kontaktiert wurde, um diesen Sommer eine Fotoausstellung mit meiner Serie „Promenade Moments“ in Nürnberg zu machen, war ich sofort begeistert. Als Deutsche liegt mir daran, zur Völkerverständigung beizutragen und gegen Verallgemeinerungen und Unwissen vorzugehen. Als gebürtige Italienerin mit deutschem Pass die in Frankreich lebt, fühle ich mich zutiefst als Europäerin. Es liegt mir viel daran, unser schönes Europa vereint und offen, tolerant und lachend zu sehen statt sich populistischer Denke auszuliefern und Mauern und Abgrenzungen zu suchen. Auch das kam mir in den Sinn als ich die Einladung las. Und sagte sofort zu.

Die für die Ausstellung vorgesehene Fotoserie zeigt minimalistische bunte bewegte Bilder der Promenade, geradeaus aufs Meer blickend, mit Menschen die vorbeihauchen, oft mit gezielt eingesetzter Bewegungsunschärfe, voller Farben und Bewegung und Leben, so wie es für einen ephemeren Augenblick stattfindet und sich in der nächsten Sekunde schon anders präsentiert.
Das ist ja auch der Kern der Straßenfotografie, die ich erst in den letzten Jahren kennengelernt habe. Nach einem Leben als Wissenschaftlerin, Dozentin an der Uni Hamburg und Forscherin am Amazonas, entdecke ich nun mit der Kamera die Welt vor der Haustür. Und die ist ebenso spannend!

©Pia Parolin

Auf dem ersten Deutschen Street Photography Festival vor nur zwei Wochen in Hamburg wurde ich eingeladen, einen Vortrag über eben diese Fotoserie zu halten. Dort knüpfte ich Kontakte zu Gerald Prechtl und dem Nürnberg Unposed Collective. Welch Freude, nahezu die gesamte Gruppe geschlossen am 8.7. auf meiner Vernissage im Internationalen Haus in Nürnberg begrüßen zu dürfen!
Meine Fotos sind diesmal – anders als sonst auf 1×1 m Metall – auf Papier gedruckt, in 35×35 cm und mit Rahmen. Es wurde so von der Galerie gewünscht und ich war gespannt wie es wohl aussieht. Am Metalldruck ohne Rahmen schätze ich das Minimalistische und das unendliche Leuchten und Reflektieren des Lichtes. Diese bereits gedruckte Serie wandert ebenfalls durch Deutschland – zur Zeit ist sie am Moritzhof in Magdeburg zu sehen.

Ich war erstaunt: auch auf Papier wirken die Farben schön, beruhigend und fröhlich zugleich. Jedenfalls gab es viel Zuspruch und Freude seitens der Besucher. Der helle große Raum mit Blick auf Fachwerkhäuser und die Pegnitz eignet sich hervorragend für solch eine Ausstellung. Eine gut besuchte Vernissage, alles perfekt organisiert von Frau Birchner und Frau Hahn vom Internationalen Haus. Bis zum 31.7. werden die Fotos hier noch zu sehen sein, danach gehen sie nach Bonn ans Institut Franco-Allemand, wo sie bis Oktober zu sehen sein werden.

An diesem Abend in Nürnberg entstanden viele neue Kontakte, Gespräche rund um Meeressehnsucht, Umgang mit Terroranschlägen, Techniken der Fotografie und neue kreative Ideen. Es ist natürlich sehr befriedigend die eigenen Bilder in schönem Rahmen ausgestellt und bewundert zu sehen. Wichtiger und zufriedenstellender ist mir jedoch der intellektuelle Austausch, der damit einhergeht, das Teilen und kreative Denken und die positiven vibes die noch lange anhalten.

Deswegen reise ich quer durch Europa. Aber auch, wie eingangs erwähnt, weil mir daran liegt, dass Europa sich selbst kennenlernt. Dass Nachbarländer nicht in Vorurteilen erstarren. Dass bestehende langjährige Verbindungen aufleben und Neues hervorbringen, statt langsam einzuschlummern.
Das Neue plane ich – viele Ideen schwirren in meinem Kopf, von Künstleraustausch, über gegenseitiges Einladen zu Ausstellungen und gemeinsamen Fotoprojekten, Grillabenden mit Kollektiven die sich kennenlernen und Fotowalks in neuen Gefilden.

©Pia Parolin

Aber vor allem wollte ich Nürnberg besser kennenlernen, und nutzte zwei freie Nachmittage während meines Aufenthaltes um die Hintergründe der Naziherrschaft und -bewältigung im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände zu erkunden, und mich natürlich auch der Straßenfotografie hinzugeben.
Zunächst ließ ich mich einfach von den Touristenströmen mitreißen, erklomm die schöne mittelalterliche Burg und verweilte auf den sonnenüberfluteten Plätzen mit den vielfältigen Farben und dem entspannten Treiben. Dann fuhr ich raus zur Kongresshalle, zur ehemaligen Aufmarschstraße und dem unendlichen Zeppelinfeld und umrundete das gesamte Areal in einem über 10 km langen Fußmarsch. Erst beim Schwitzen auf den unendlichen Weiten, die heute für große biergetränkte lebensfrohe Volksfeste genutzt werden, wurde mir der Größenwahn und das Absurde dieser Terrorherrschaft richtig klar.
Nachdem ich das beklemmende Gefühl durch das viele Gehen etwas verarbeitet habe, fand ich meine eigene Art, das gigantische Nazi-Wahn-Projekt darzustellen und ins Lächerliche zu ziehen.

©Pia Parolin

Was wie eine lustige bunte Trivialität im Foto aussieht, ist für mich das Symbol „Flamingos statt Kanonen! Knallige Farben statt Hassparolen!“. Damit will ich nicht behaupten, dass das faschistische Regime und seine millionenfachen Morde lächerlich seien.
Das Gebäude, das größer als das Kolosseum in Rom ist und riesige Freiflächen für die von den Nazis geplanten Paraden des „Tausendjährigen Reiches“ bietet, stellt den Nukleus des geplanten mächtigen Reiches dar. Dieselbe Stadt zeigt heute, wie ernst die Einheimischen und ganz Deutschland die Gedanken des Faschismus bekämpfen. Die hinterlassenen Symbole sind integriert in sehr moderne lehrreiche Museen. Die Nürnberger Prozesse waren der Beginn des internationalen Strafrechts, ein Bereich, der sich weltweit immer noch im Anfangsstadium seiner Entwicklung befindet. Hier fanden die ersten Gerichtsverfahren mit Richtern aus verschiedenen Ländern statt. Die Nürnberger Prozesse brachten weltweit die ersten Anklagen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit hervor. Ich wünschte, mehr Länder auf diesem Planeten würden Völkermorde nach dem Vorbild Nürnbergs verfolgen.

Bewusstsein schärfen, intensiv auseinandersetzen aber dann auch zu einem freien Leben zurückkehren. Wir dürfen ohne Angst unser privilegiertes Leben genießen, ich finde große Freude am Leben und Teilen, habe keine Angst vor Diversität und Andersartigkeit, sondern gehe neugierig und offen durchs Leben.
Ich gehe für mich selbst mit der Nazivergangenheit um, wie ich mit meinen bunten Fotos nach dem Terrorattentat in Nizza wieder zu einem normalen Leben voller Freude und Lebenslust statt Angst und Abgrenzung zurückgefunden habe.
Auf dem Rückweg entdeckte ich wunderbare moderne Gebäude in der Nähe des Bahnhofs, Museen mit spiegelnden Glasfassaden und langen Schatten, ideal zum Herumspielen mit meiner Kamera und mich in der street photography auszutoben.

©Pia Parolin

Nun reise ich zurück in das ebenfalls warme bunte Nizza, reich an neuen Eindrücken, bereichernden Begegnungen und kreativen Ideen im Kopf.
Nürnberg, ich freue mich schon aufs nächste Mal und hoffe, dass möglichst viele Nürnberger (Fotografen und mehr) nach Nizza kommen und Leute aus Nizza sich zur Entdeckung Nürnbergs aufraffen. Mein Haus – „La Galerie des Pins“ – steht jedem offen, der Interesse an Austausch, Fotoprojekten, Tandem-Ausstellungen und Ähnlichem hat. Bis bald!

Pia Parolin, Nürnberg, 10.7.2019

 

Autoreninfo: Pia ist Streetfotografin mit einem Doktortitel in Biologie. Mit ihrer Streetfotoserie „Promenade Moments“ hat sie viele Auszeichnungen gewonnen und die Stadt Nizza hat sie dafür sogar zum „Ambassador de la destination“ gemacht. Die Fotoserie tourt in 2019 durch Deutschland auf verschiedenen Festivals und Kulturzentren. Pias Website: www.piaparolin.com

2 Comments on “gastbeitrag: PIA PAROLIN – nürnberg und nizza”

  1. Hey, danke dass ihr das sofort veröffentlicht habt! Ich hoffe es ist nicht zu problemlastig, sollte ja hier eher ein photo-blog sein, aber es hat wirklich viel in mir bewegt durch Nürnberg zu streifen. Bis bald!!

  2. Ein sehr schöner Bericht, den ich mit Freude gelesen habe – keinesfalls zu problemlastig, das geht bei diesem Thema gar nicht! Vielen Dank dafür, auch für die klasse Bilder! Grüße aus Braunschweig. Hat mich gefreut, dass wir uns in Hamburg beim Deutschen Street Photography Festival kennengelert haben! À bientôt! Thomas

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